Der Landesverband NRW des Kinderschutzbundes unterstützt diese gemeinsame Pressemeldung von der Freien Wohlfahrtspflege NRW, dem Flüchtlingsrat NRW e. V. und den Kooperationspartnern der Flüchtlingsberatung in NRW:
Die Landesregierung reagiert mit Hallen und Zelten auf die steigende Zahl von Asylsuchenden und hält an der monatelangen, zermürbenden Sammelunterbringung fest, um die Kommunen zu entlasten. In NRW sind die über 30.000 Plätze in den 48 Sammelunterkünften des Landes komplett belegt. Das hat gravierende Folgen für die Menschen: Untergebracht in Zimmern mit acht Personen, auf Feldbetten, in Hallen mit Trennwänden und ohne sicheren Rückzugsort. Das neue „Zuhause“ für viele Monate macht Schutzsuchende mürbe, ohnmächtig, krank.
„Ich finde keinen Schlaf, komme nicht zur Ruhe. In meiner Kabine schlafen zehn Personen – im gesamten Zelt sind wir über 100. Meine Habseligkeiten habe ich immer bei mir. Ich schlafe mit meinem Handy in der einen Hand, mit meinen Papieren in der anderen.“ – Asylantragssteller in einer Notunterkunft
Bei der heutigen, gemeinsamen Landespressekonferenz fordern der Flüchtlingsrat NRW, die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW und die Kooperationspartner der Flüchtlingsberatung in NRW die Landesregierung auf, grundlegende Standards zur Unterbringung und Versorgung einzuhalten und nachhaltige Lösungen dafür zu finden, Schutzsuchende menschenwürdig unterzubringen und teilhaben zu lassen.
„Die Aufnahmeeinrichtungen dienen dem Ankommen und dem Asylverfahren. Dafür brauchen wir in NRW kleinere Unterbringungseinrichtungen mit Verweildauern von wenigen Wochen, Angebote zur Orientierung und Bildung, qualifizierte unabhängige Beratung und abgestimmte Prozesse zum Asylverfahren mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Stattdessen herrschen Überfüllung, Unruhe, Angst – zumal aus diesen „Orten des Ankommens“ auch vermehrt Abschiebungen erfolgen“, so Birgit Naujoks, Flüchtlingsrat NRW.
Die aktuelle Unterbringungssituation führt bei vielen, insbesondere jungen Menschen, zu Frustration. Sie fördert psychische und physische Erkrankungen und lässt Schutzsuchende nicht zur Ruhe kommen. Viele Menschen sind extrem belastet und demotiviert, wenn sie erst nach Monaten in die Kommunen umziehen dürfen. „Die Verweigerung grundlegender Rechte hilft niemandem: Sie führt zu hohen Kosten der Versorgung zwischenzeitlich chronifizierter Erkrankungen und Lethargie, zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und zu Frust auf allen Seiten“, hebt Eva van Keuk, Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete Düsseldorf e.V., hervor.
Michael Mommer, Vorsitzender des Arbeitsausschusses Migration der Freien Wohlfahrtspflege NRW, fordert die Landesregierung auf: „Die Einhaltung rechtlicher Standards in sämtlichen Unterkünften des Landes muss sichergestellt werden. Wir appellieren an Ihren Gestaltungswillen: Die soziale Infrastruktur in NRW trägt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steht für Menschenrechte und Humanität – sie stellt sich klar und entschlossen zunehmender Ausgrenzung, Abschreckung und Populismus entgegen. Wir stehen weiterhin als zivilgesellschaftliche Partner bereit, an der Zukunftsaufgabe der Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen mitzuwirken.“
Keine Mindeststandards für Gewaltschutz, Gesundheitsversorgung und Kinderrechte
- Das Landesgewaltschutzkonzept und die Standards der Betreuung werden in den Unterkünften und v.a. in Notunterkünften aktuell nicht vollumfänglich umgesetzt: Rückzugsräume für Eltern mit Kindern fehlen, abschließbare Sanitäranlagen sind oft nicht vorhanden, auf besondere Schutzbedarfe von Menschen mit Behinderung oder mit psychischen Erkrankungen wird nicht oder nicht ausreichend reagiert.
- Darüber hinaus fehlt es an Angeboten frühkindlicher Bildung und Beschulung – das Recht der Kinder auf Bildung wird somit verwehrt. Ferner mangelt es an Sprachkursen sowie oftmals an strukturierten Freizeitangeboten.
- Menschen in Notunterkünften und weiteren Landesunterkünften durchlaufen das Asylverfahren meist ohne Zugang zu unabhängiger Beratung – dies verhindert eine gute Vorbereitung und somit Beschleunigung von Verfahrensprozessen. Die Verfahrensgarantien für Asylsuchende gem. Art. 19 EU-Asylverfahrensrichtlinie sind somit ausgesetzt.
- Die Gesundheitsversorgung geflüchteter Menschen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes ist ohnehin auf ein Minimum beschränkt ist – doch auch dieses Minimum wird unterlaufen und beispielsweise dringend notwendige fachärztliche Untersuchungen werden in der Regel nicht gewährleistet.
Forderungen an die Landesregierung
Kurzfristig: Die verbindliche Umsetzung rechtlicher Vorgaben in der Landesunterbringung, die sich unter anderem aus der EU-Aufnahmerichtlinie, der EU-Asylverfahrensrichtlinie, der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben. Dazu gehören auch einheitliche Standards von Schutz- und Versorgungsmaßnahmen sowie die Sicherstellung der unabhängigen Beratungsangebote in allen Unterkünften des Landes NRW.
Mittelfristig: Ein integriertes Konzept – so wie im Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen angekündigt – zur menschenwürdigen und auf Integration ausgerichteten Unterbringung, Versorgung und Teilhabe schutzsuchender Menschen auf Landesebene in NRW. Gleiches sollte auf kommunaler Ebene umgesetzt werden.
Diese gemeinsame Pressemeldung von der Freien Wohlfahrtspflege NRW, dem Flüchtlingsrat NRW e. V. und den Kooperationspartnern der Flüchtlingsberatung in NRW wird unterstützt von:
- Arbeitsgemeinschaft Migration der Evangelischen Kirchen im Rheinland, von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und der Diakonie RWL
- Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW
- Amnesty International
- Der Kinderschutzbund Landesverband Nordrhein-Westfalen
- Landesintegrationsrat NRW
- Landesjugendring NRW
- Paritätische Jugendwerk NRW
Hier können Sie die Pressemitteilung herunterladen.